17 globale Nachhaltigkeitsziele und 5 bis 7 Billionen US Dollar pro Jahr um diese zu erreichen. Die Sustainable Development Goals und ihre Finanzierung fordern Gesellschaften, Realwirtschaft und Kapitalmarkt heraus. Der “SDG Investment Case” soll die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit schließen.

von Marie-Lucie Linde, freie Mitarbeiterin bei WeSustain und Beraterin für nachhaltige Unternehmensführung

Auf dem SDG Business Forum in 2017 haben führende Wirtschaftsorganisationen, Institutionen und Netzwerke des privaten Sektors die Bedeutung der Sustainable Development Goals (kurz: SDGs) der Vereinten Nationen für die Wirtschaft auf den Punkt gebracht: „Die SDGs bieten allen Unternehmen eine neue Linse, durch die sie die Bedürfnisse und Ambitionen der Welt in Geschäftslösungen umsetzen können (…).1

Doch die SDGs sind nicht nur für Unternehmen von zentraler Bedeutung. Sie sind zu einem universellen Rahmen geworden, der alle Akteure der Weltgemeinschaft auf ein klares und in dieser Form noch nie dagewesenes Zielbild zur Bewältigung der drängendsten weltweiten Probleme wie Armut, Hunger und den Klimawandel einschwört. Dabei spielen neben den Unternehmen vor allem auch der Privatsektor des Finanzmarktes eine ganz zentrale Rolle. Wir fragen uns in diesem Themenspecial daher, welche Relevanz die SDGs für Investoren haben und was sich hinter dem sogenannten “SDG Investment Case” verbirgt.

Die SDGs – ein universelles Zielbild für die Welt

Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen und mit ihr die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) wurden von der globalen Staatengemeinschaft – Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen – in 2015 verabschiedet. Ein internationaler Durchbruch ohnegleichen und längst überfällig für die nachhaltige Entwicklung, betonte auch der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon: „Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, die Armut zu beseitigen, ebenso wie wir die letzte sein könnten, die die Chance hat, unseren Planeten zu retten.2

Die 17 Nachhaltigkeitsziele stellen eine universelle Agenda zur Bewältigung der drängendsten Probleme des 21. Jahrhunderts dar und zeichnet ein klares Zielbild einer lebenswerten Welt in 2030. Mit ihren insgesamt 169 Unterzielen geben die SDGs der Weltgemeinschaft einen Rahmen mit klaren Zielvorgaben und Handlungsfeldern, auf die es hinzuwirken gilt. Die SDGs sind somit ein “Call to action”, um ein neues und tragfähiges Modell für die Zukunft zu schaffen, indem Wirtschaftswachstum erreicht wird, ohne dabei unsere Umwelt zu gefährden oder andere Gesellschaften ungerechte Belastungen aufzuerlegen. Dabei geht dieser Ruf ausnahmslos an alle Marktakteure: 

  • an ganze Staaten, die mithilfe ihrer nationalen Nachhaltigkeitsstrategien die politischen Rahmenbedingungen und Anreize schaffen sollen
  • an Unternehmen, die mit nachhaltigen Geschäftslösungen einen Beitrag zur Bewältigung der konkreten Probleme wie Klimawandel, Armut und Ungleichheiten leisten sollen sowie 
  • an Investoren vor allem aus dem Privatsektor, die die SDGs als Leitlinie für verantwortungsvolles Investieren heranziehen sollen, um so die notwendige Finanzierung der SDGs zur Verfügung zu stellen.

SDG Goals

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 1: Die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen

Die SDGs und der Kapitalmarkt

Um die SDGs Realität werden zu lassen, braucht es Expertenmeinungen zufolge etwa 5 bis 7 Billionen US Dollar an Investment pro Jahr. Wenn man jedoch die aktuelle Situation betrachtet, dann klafft eine erhebliche Lücke zwischen, dem was gebraucht wird, um die SDGs zu erreichen, und dem, was derzeit an finanziellen Mitteln zur Verfügung steht. ExpertInnen sprechen in diesem Kontext von der sogenannten “SDG-Finanzierungslücke” (engl. “SDG funding or financing gap”), die es von 2015 bis 2030 zu schließen gilt3. Doch wer soll diese Lücke schließen und wie? 

Spätestens mit dieser Frage haben die SDGs – neben Regierungen weltweit – den Kapitalmarkt erreicht. Denn vor allem die private Finanzierung und privates Kapital bergen das Potenzial, die SDG-Finanzierungslücke zu schließen. Und so geht der Appell an Investoren, ihre Investitionsströme auf die neuen innovativen Produkte und Dienstleistungen umzulenken, die sich auf die Erreichung der SDGs konzentrieren. “Im Gegensatz zum ESG-Ansatz trägt die Fokussierung auf die SDGs zur aktiven Lösung von Problemen bei. Deswegen betreiben wir die SDG INVESTMENTS Plattform, die sich ausschließlich auf die Vermittlung von Finanzierungen für Unternehmen konzentriert, deren Dienstleistungen und Produktlösungen einen positiven Beitrag zu den SDGs haben”, betont Frank Ackermann, Managing Partner bei SDG Investments. Die “Business & Sustainable Development Commission” als auch die Initiative “United Nations Principles for Responsible Investment” (kurz: UN PRI) betonen ebenfalls, dass es für Investoren des privaten Sektors einen klaren “SDG Investment Case” gibt: Die SDGs könnten nämlich allein in den Bereichen Nahrungsmittel, Landwirtschaft, Städte und Kommunen, Energie und Rohstoffe sowie im Gesundheitswesen Marktchancen in Höhe von bis zu 12 Billionen US Dollar eröffnen und bis 2030 380 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen.4 

Zudem besagt die Treuepflicht des 21. Jahrhunderts, dass Investoren als Teil ihrer Pflicht gegenüber Begünstigten alle finanziell materiellen Faktoren zu berücksichtigen haben, unabhängig von ihrer Herkunft.5 Das bedeutet, dass neben den rein finanziellen eben auch die Umwelt-, Sozial- und Governance-Fragen (ESG-Kriterien) bzw. Risiken bei den Finanzanalysen und Portfolio-Aufbaustrategien eine zentrale Rolle spielen müssen. Das derzeit prominenteste Beispiel ist die Integration von klimabezogenen Risiken in bestehende Risikoprozesse, wie es u.a. die BaFin in ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken empfiehlt. Und so definiert die Initiative UN PRI verantwortungsvolle Investitionen als eine Strategie und Praxis zur Einbeziehung von ESG-Faktoren in Investitionsentscheidungen. Und gleichzeitig bekennen sich die UN PRI-Unterzeichner in der Präambel zu den “6 Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren” klar zu den SDGs: „Wir erkennen an, dass die Anwendung dieser Grundsätze die Investoren besser mit den umfassenderen Zielen der Gesellschaft in Einklang bringen kann.” Weiter betont UN PRI in seiner Veröffentlichung “The SDG Investment Case” aus dem Jahr 2017, dass noch nie zuvor diese „umfassenden Ziele der Gesellschaft“ klarer definiert wurden, als in den SDGs.6

UN PRI prägt den „SDG Investment Case“

Die Initiative der Vereinten Nationen “UN PRI” prägt mit ihren “6 Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren” und ihrer klaren Haltung maßgeblich den aktuellen Diskurs rund um den „SDG Investment Case“. Die über 2.400 Unterzeichner der Prinzipien verpflichten sich gemeinsam einer ambitionierten Mission: “Wir glauben, dass langfristige Wertschöpfung nur in einem wirtschaftlich effizienten, nachhaltig gestalteten globalen Finanzsystem möglich ist. Ein derartiges System wird langfristige, verantwortungsvolle Investitionen belohnen und sowohl Umwelt als auch der Gesellschaft als Ganzes zugutekommen.

Konsistent zu dieser Mission bringt die UN PRI mit ihrer Arbeit, ihren Ausführungen und ihrem Framework u.a. in Partnerschaft mit der “UN Alliance for SDG Finance” auch den „SDG Investment Case“ voran und appelliert Investoren gegenüber unermüdlich zu  wirkungsorientierten Strategien. Mit der Veröffentlichung “The SDG Investment Case“ prägt UN PRI die Argumente für das verantwortungsvolle Investieren im Sinne der SDGs und gibt eine Antwort auf die Frage, warum die SDGs für die Anlagestrategien, die Asset Allokation und Investitionsentscheidungen so relevant sind.

Dabei stehen 5 Argumente im Fokus7:

  1. Die SDGs sind der weltweit vereinbarte Nachhaltigkeitsrahmen, den es bis 2030 zu finanzieren gilt, indem Gelder in langfristig und nachhaltig wirtschaftende Unternehmen und Ökonomien investiert wird.
  2. Die SDGs gehören zur treuhänderischen Verantwortung, da sie Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (kurz: ESG) global konkretisieren.
  3. Die SDGs werden das Weltwirtschaftswachstum vorantreiben und enorme Marktchancen hervorbringen.
  4. Die SDGs eignen sich zum mikroökonomischen Risikomanagement, indem sie externe Kosten und deren finanzielle Materialität aufzeigen und somit die ESG-Risiko-Frameworks bei Investoren stärken.
  5. Die SDGs lassen sich bei verschiedenen Anlageklassen in ein Leitfaden für die Kapitalallokation übersetzen, da immer mehr Unternehmen ihre Geschäftsmodelle auf die SDGs ausrichten.

Diese Argumentation ist für die meisten Investoren nachvollziehbar, weswegen viele die Rolle der SDGs für die Entwicklung einer verantwortungsvollen Investitionsagenda für die nächsten 10 Jahre als zentral ansehen. Und dennoch steckt der „SDG Investment Case“ bei vielen noch in den Kinderschuhen: Viele Investoren haben noch keine Antwort auf die Frage, ob und wie die SDGs ihre Investitionsstrategie, Politik, Vermögensallokation und andere Investitionsentscheidungen beeinflussen werden. Einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage soll die geplante EU-Taxonomie leisten. “Für jede Industrie definiert die Taxonomie Kriterien für klimafreundliche Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen (Mitigation) oder zur Anpassung (Adaptation), wie bspw. Emissionslimits bei Autos oder grüne Stahlverfahren in der Stahlherstellung. Investoren, die Maßnahmen finanzieren und diese Kriterien einhalten, können ihr Investment als grün markieren und Taxonomie-konform nennen.”9

Die Rolle von Big Data für den „SDG Investment Case“

In der Realwirtschaft und am Kapitalmarkt nutzen immer mehr Akteure die SDGs als Framework, um die Wirkung von Nachhaltigkeits- oder ESG-Maßnahmen messbar zu machen. Und dort, wo das Wort “Messbarkeit” anklingt, ist auch das Thema “Big data” nicht weit entfernt. Und so stellen auch in diesem Kontext Daten ein zentrales Transformationspotenzial dar. “Neue Datenquellen wie z.B. Satellitendaten, neue Technologien und neue analytische Ansätze können, wenn sie verantwortungsbewusst eingesetzt werden, eine agilere, effizientere und evidenzbasierte Entscheidungsfindung ermöglichen und die Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung (SDGs) besser messen, und zwar auf eine Weise, die sowohl integrativ als auch fair ist”, unterstreichen die Vereinten Nationen in ihrem Statement “Big Data for Sustainable Development”. 

Und auch hier spielt der private Sektor, wie auch am Kapitalmarkt zur Schließung der SDG-Finanzierungslücke, eine zentrale Rolle. Denn viele Daten werden derzeit durch den privaten Sektor erhoben. Arturo Martinez, Statistiker in der Abteilung für Wirtschaftsforschung und regionale Zusammenarbeit, und Jose Ramon Albert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am “Philippine Institute for Development Studies” beschäftigen sich in ihrem Blog-Beitrag “Big Data can transform SDG performance” mit den Chancen und Herausforderungen in der Wirkungsmessung der SDGs. Ihre aktuelle Einschätzung ist: “Die Ziele für nachhaltige Entwicklung bieten spezifische, zeitgebundene und quantifizierbare Ziele, die mit den nationalen Entwicklungsplänen und Prioritäten übereinstimmen. Angesichts der über 230 Indikatoren für nachhaltige Entwicklung – von denen viele nach Ort, Geschlecht, Alter, Einkommen und anderen relevanten Dimensionen aufgeschlüsselt werden müssen – ist es für die nationalen Statistiksysteme (NSS) jedoch nicht einfach, die notwendigen granularen Daten zur Überwachung aller Indikatoren und Ziele zu sammeln.10

Der Trend hin zu “Big Data”, den auch die beiden Wissenschaftler beschreiben, spielt der Wirkungsmessung im Sinne der SDGs somit in die Karten: Die enorme Datenmenge, die durch zunehmend digitalisierte Prozesse und moderne Technologien wie Softwarelösungen im privaten Sektor entsteht, kann die Basis für eine belastbare Messung schaffen. Und so beginnen erste Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit und ihr zusätzliches Engagement auf diese 17 SDGs zu matchen und konkret zu schauen, auf welches der Ziele sie einen messbaren Beitrag leisten können. Das Impact Measurement entlang der SDGs, wie auch der „SDG Investment Case“, befindet sich jedoch noch in den Kinderschuhen. In der Praxis mangelt oftmals noch an den verlässlichen Management-Tools, um die relevanten Daten für eine Wirkungsmessung zu erheben und zu analysieren. Der Softwareanbieter für verantwortungsvolle Unternehmensführung – WeSustain – als ein Beispiel hat dieses Bedürfnis der Unternehmen erkannt und unterstützt mit der “Impact Management Software” Unternehmen bei der Professionalisierung ihrer betrieblichen Wirkungsmessung entlang der SDGs. Mithilfe zahlreicher Funktionen können Nutzer hier Daten zuverlässig erheben, die Wirkung einzelner Projekte mithilfe von Zielen wie den SDGs auswerten und Berichte erstellen.

Die SDGs als Richtungsgeber für eine nachhaltige Transformation

Der hier gezeichnete und von der Initiative der UN PRI geförderte “SDG Investment Case” zeigt, dass wir in Sachen nachhaltiger Entwicklung gereift sind: Raus aus dem Zeitalter des “do no harm”, in das Zeitalter des “real-world impacts”11. Dabei zeigt sich zunehmend, dass für Investoren “doing safe by doing good” in Form einer proaktiven ESG-Strategie ein Erfolgsfaktor ist. Die Ausrichtung auf die SDGs birgt dabei – sowohl für Realwirtschaft als auch für Investoren – immense Marktchancen. Aber nur wenn wir es schaffen, die Finanzierungslücke zu schließen, sprich Kapital und nachhaltige Geschäftslösungen für die Bewältigung der in den SDGs adressierten drängendsten Probleme der Welt zusammenzubringen. Dabei werden Kapitalströme aus dem Privatsektor von entscheidender Bedeutung sein, weswegen man gespannt auf die sich konkretisierende EU-Taxonomie blicken kann. Zur Umsetzung der SDGs werden zudem Big Data und smarte datenbasierte Tools zum neuen Standard werden, damit der “real-world impact” im Sinne der SDGs in Zukunft steuerbar, messbar und transparent wird. Nur so können wir konkret auf das Zielbild 2030 hin steuern und arbeiten.

Fußnoten zum Themenspecial: „Mit dem “SDG Investment Case” die Lücke schließen“:

1 Vgl. LINK, abgerufen am 05.11.2020.
2 Vgl.  LINK, abgerufen am 14.11.2020.
3 Vgl. UNPD (2017):  LINK, abgerufen am 14.11.2020.
4 Vgl. UNPD (2017):  LINK, abgerufen am 14.11.2020.
5 Vgl. UN PRI (2017): ““SDG Investment Case“”: LINK, abgerufen am 02.11.2020.
6 Vgl. UN PRI (2017): ““SDG Investment Case“”: LINK, abgerufen am 02.11.2020.
7 Vgl. Susanne Bergius im Handelsblatt (2018): “Nachhaltige Investments – UN-Ziele zum Investmentfall machen”. S. 3.
8 Vgl. Dr. Matthias Kannegiesser – sustainable natives eG (2020): LINK, abgerufen am 14.11.2020
9 Vgl. UN, LINK, abgerufen am 14.11.2020.
10 Vgl. Asian Development Blog (ADB): LINK, abgerufen am 14.11.2020.
11 Vgl. UN PRI: LINK, abgerufen am 14.11.2020.