Egal ob vor- oder nachgelagert, auf Lieferketten liegt im Sinne der nachhaltigen Entwicklung ein besonderer Augenmerk. Nun ist der Beschluss für ein deutsches Lieferkettengesetz politisch verkündet und soll Verbindlichkeit von unternehmerischen Sorgfaltspflichten bringen.

von Marie-Lucie Linde, freie Mitarbeiterin bei WeSustain und Beraterin für nachhaltige Unternehmensführung

Im Zeitalter der Globalisierung und dem darin verankerten Prinzip der “globalen Arbeitsteilung” ist unsere Wirtschaft von hohen internationalen Verflechtungen und Abhängigkeiten geprägt. Branchen sind durch ihre Produktions- und Beschaffungsstrukturen ebenso wie ihre neuen Absatzmärkte in die verschiedensten Richtungen der Erde vernetzt. 

So beziehen Lebensmittelhersteller Rohstoffe aus Afrika oder Südamerika und Textilhersteller lassen ihre Produkte in Asien fertigen. Wir schauen in diesem Themenspecial – anlässlich des Beschlusses für ein deutsches Lieferkettengesetz – einmal genauer hin und fragen uns, welche neuen unternehmerischen Sorgfaltspflichten mit dem Gesetz einhergehen und wie man diesen – u.a. mithilfe digitaler Prozesse – begegnen kann. 

Lieferketten und ihre Relevanz für Nachhaltigkeit

Moderne Lieferketten gehen mit einer zunehmend hohen sozialen und ökologischen Verantwortung einher. Dies ist nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik als Erkenntnis gereift. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales definiert den Begriff der “Lieferkette” und die daraus resultierende unternehmerische Verantwortung daher wie folgt: 

Die Lieferkette umfasst den gesamten Weg eines Produktes von der Gewinnung der Rohstoffe über die Herstellung und Verarbeitung bis zur Lieferung des Produktes an die Endkunden. In der globalisierten Welt sind häufig mehrere Unternehmen und Lieferanten an der Produktion beteiligt. Deshalb ist es wichtig, dass die gesamte Lieferkette in den Blick genommen und auf Menschenrechte, einschließlich der Arbeitsbedingungen und des Umweltschutzes geachtet wird.1

Und so liegen in der besonderen Betrachtung der Lieferkette für viele Unternehmen Risiken aber auch Chancen: 

Risiken

  • eine vorherrschende Intransparenz in den Lieferketten zu nachahltigkeitsrelevanten Aspekten
  • eine mangelnde Durchsetzungskraft und Kontrolle von Nachhaltigkeitsaspekten entlang der Lieferkette
  • ein potenziell wirtschaftlicher Schaden durch Verletzung von sozialen und ökologischen Mindeststandards (Bußgelder, Sanktionen, Sachschäden etc.)
  • Reputationsrisiken durch unzureichende Übernahme unternehmerischer Verantwortung (Beispiel: Kik im Zusammenhang mit dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza, Bangladesch2)

Chancen

  • ein proaktives Risiko- und Compliance-Management im Sinne sozialer und ökologischer Mindeststandards 
  • mehr Transparenz und Kontrolle über die eigene Lieferkette 
  • eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine nachhaltige Lieferkette 
  • eine Stärkung der eigenen Glaubwürdigkeit und des Vertrauens der Konsumenten (durch die geschaffene Transparenz)
  • das Image eines positiven “Corporate Citizens” durch Übernahme unternehmerischer Verantwortung entlang der Lieferkette 

Dieses skizzierte Spannungsfeld aus Chancen- und Risiken stellt Unternehmen in der Praxis vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen und Aufgabenstellungen.

Neue unternehmerische Sorgfaltspflichten im Fokus

Um die unternehmerische Verantwortung im Rahmen nachhaltiger Lieferketten greifbarer zu machen, sind in den vergangenen Jahren sogenannte “unternehmerische Sorgfaltspflichten” in den folgenden Bereichen gemäß OECD-Leitfaden3 definiert worden:

  • Achtung der Menschenrechte (z.B. Verbot von Kinderarbeit, Schutz vor Sklaverei und Zwangsarbeit, sozialer Arbeitsschutz etc.)
  • Einhaltung von Umweltstandards, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen führen (z.B. vergiftetes Wasser)
  • Vermeidung von Korruption, Bestechung, Bestechungsgeldforderungen und Schmiergelderpressung 
  • Achtung von Verbraucherinteressen
  • Pflicht zur Offenlegung

In Deutschland wurden die Erwartungen an die unternehmerische Sorgfaltspflicht zur Achtung der Menschenrechte im “nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte” (kurz: NAP) beschrieben, mit dem Ziel, die Menschenrechtslage in den globalen Lieferketten zu verbessern. Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht beinhaltet gemäß NAP4 die folgenden fünf Elemente bzw. Aufgaben:

  • Verantwortung erkennen
  • Risiken ermitteln
  • Risiken minimieren
  • Informieren und berichten
  • Beschwerde ermöglichen

Was sich in der Theorie so einfach anhört, stellt sich in der Praxis wesentlich anspruchsvoller dar: Eine repräsentative Untersuchung im Juli 2020 im Rahmen des Nationalen Aktionsplans hat gezeigt, dass lediglich zwischen 13 und 17 Prozent der befragten Unternehmen diese Anforderungen des NAP erfüllen.5 

Ein Meilenstein: Verbindlichkeit durch ein Lieferkettengesetz

Um eine höhere Verbindlichkeit der unternehmerischen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette zu ermöglichen, wird seit ein paar Jahren um eine ganz besondere Lösung gerungen: ein Lieferkettengesetz. Unermüdliche Verhandlungen zwischen Wirtschafts- und Politikvertretern haben im Februar 2021 durch den Beschluss für ein solches Gesetz vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales ihr Ende gefunden. Und damit steht fest: Ein Lieferkettengesetz in Deutschland wird kommen.

Steckbrief zum deutschen Lieferkettengesetz (gemäß Beschluss des Bundestages):6

Name: “Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten” (auch: “Sorgfaltspflichtengesetz”)

Ziel:

  • Schaffung von mehr Gerechtigkeit für Arbeitskräfte weltweit und Stärkung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen und der Zivilgesellschaft
  • Schaffung von Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen
  • Verbindliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette

 

Inkrafttreten und Betroffene: 

Das Gesetz gilt ab 2023 für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, ab 2024 auch für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Das deutsche Lieferkettengesetz muss noch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beschlossen werden.

Pflichten:

  • Einführung und Umsetzung eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements entlang der Lieferkette
  • Durchführung einer Risikoanalyse zur Identifikation besonders hoher menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken
  • Ergreifung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen, um Verstößen vorzubeugen
  • Festlegung von Verantwortlichkeiten zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten, z.B. ein/e Menschenrechtsbeuaftragte/r
  • Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens zur Meldung möglicher Verletzungen bzw. Verstöße
  • jährliche Erstellung und Einreichung eines Berichtes zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten 

Ähnlich wie bei der CSR-Berichtspflicht, die in 2017 in Kraft getreten ist, werden durch das deutsche Lieferkettengesetz lediglich Großunternehmen direkt betroffen sein und in die Pflicht genommen. Jedoch ist zu erwarten, dass auch bei diesem Gesetz die schätzungsweise 600 betroffenen Unternehmen in Deutschland7 die Einhaltung der Sorgfaltspflichten an ihre mittelständischen Zulieferer und Dienstleister in der vor- und nachgelagerten Lieferkette weitergeben werden. Und genauso wie schon damals bei der CSR-Berichtspflicht gibt es auch hier zwei Lager am Markt: die einen (z.B. “Initiative Lieferkettengesetz”), die den Gesetzesverstoß im Sinne der nachhaltige Entwicklung als einen zahnlosen Tiger bewerten und die anderen (z.B. Unternehmensverbände wie BDI), die es als eine unverhältnismäßige Zumutung für Unternehmen betrachten. Gleichzeitig haben sich 50 Unternehmen öffentlich in einem Statement8 für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen.

Eins steht fest: Das deutsche Lieferkettengesetz wird neue Anforderungen an das Lieferketten-Management sowie die Schaffung von Transparenz und Kollaboration entlang der Lieferkette in die Unternehmen tragen. Die zentrale Herausforderung liegt darin, die erweiterten Sorgfaltspflichten in das bestehende Compliance-Management-System zu integrieren sowie entsprechende Risikoanalysen und Dokumentationen einzuführen. 

Digitale und kollaborative Managementsysteme als Teil der Lösung

Bei der Schaffung von Transparenz entlang eines so komplexen Gebildes wie der Lieferkette, wird man an einer umfassenden Digitalisierung von Prozessen nicht vorbei kommen. Es wird digitale Lösungen brauchen, die Unternehmen in der Praxis dabei unterstützen, ihre Lieferketten kontinuierlich und faktenbasiert zu monitoren. Dazu müssen Daten kollaborativ entlang der Lieferkette erhoben, ganzheitlich ausgewertet und in entsprechende Dokumentationen überführt werden.  

Bei WeSustain, dem Softwareanbieter für verantwortungsvolle Unternehmensführung, hat man diesen Bedarf im Kontext der Nachhaltigkeitsberichterstattung bereits vor 10 Jahren erkannt. “Wir beobachten, dass unternehmerische Nachhaltigkeit zu einer zentralen Managementaufgabe in Unternehmen avanciert ist, die es professionell zu planen, zu steuern und zu kommunizieren gilt. Vielen Unternehmen fehlt jedoch nach wie vor die Orientierung, wie Prozesse effizient und professionell integriert werden können, weg von Excel-Tabellen hin zu smarten und kollaborativen Prozesslösungen. Das gilt auch für das Lieferketten-Management”, betont Markus Bowe, Produktmanager bei WeSustain. Und so bietet WeSustain auf Basis der Enterprise Sustainability Management (ESM) Lösung seinen Kunden bewährte digitale und kollaborative Prozessstrukturen, mit denen sie Transparenz zu nachhaltigkeitsrelevanten Aspekten schaffen. Ein Beispiel für eine solche von WeSustain entwickelte Lösung ist die digitale Plattform “GS1 Ecotraxxfür GS1 Germanyeiner privatwirtschaftlichen Organisation für moderne Kommunikations- und Prozessstandards. Sie dient dem effizienten Austausch von Nachhaltigkeitsinformationen zwischen Herstellern, Lieferanten und Händlern. 

 

Ausblick

Zum aktuellen Stand herrscht ein Flickenteppich an nationalen und branchenspezifischen Standards und Gesetzen zur Regelung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette vor. Dabei gehen Länder in der EU wie die Niederlande oder Frankreich mit ihren bereits verabschiedeten gesetzlichen Regelungen voran, auch wenn diese in der Kritik stehen, nicht weitreichend genug zu sein. Auch die EU-Kommission plant, noch in diesem Jahr ein EU-Gesetz, das Unternehmen haftbar macht, wenn sie Menschenrechte, Umweltstandards und gute Regierungsführung verletzen oder dazu beitragen.9

Am Ende liegt der Schlüssel für eine vollumfängliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Lieferketten in der Digitalisierung und Big Data. Es braucht innovative und digitale Tools, die Unternehmen bei dieser neuen Management-Herausforderung unterstützen. Dabei wird für das Lieferketten-Management die Blockchain-Technologie hoch gehandelt. Denn sie könnte es künftig möglich machen, dass Daten entlang der Lieferkette verlässlich erhoben sowie belastbar verifiziert und verschlüsselt abgesichert werden.10

Fußnoten zum Themenspecial: „Nachhaltige Lieferketten auf dem Vormarsch“:

1 Vgl. BMAS: LINK,
2 Vgl. “Kik-Textilien in eingestürztem Fabrikgebäude”:LINK, vom 2.5.2013.
3 Vgl. OECD: “OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln”, S. 10.
4 Vgl. BMAS:  LINK, abgerufen am 14.3.2021.
5 Vgl. Referentenentwurf des BMAS “Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten” vom 15.2.2021
6 Vgl. CSR in Deutschland: LINK, abgerufen am 14.03.2021.
7 Vgl. Tagesschau:LINK
8 Vgl. LINK, abgerufen am 16.03.2021
9 Vgl. EU-Parlament: LINK, abgerufen am 16.03.2021.
10 Vgl. CHE Manager: “Mehr Transparenz durch digitale Lieferketten” LINK, abgerufen am 11.03.2021.